Der Gerechte

(Nachdichtung zu „Friedrich, der Gerechte“ von Franz Hohler)

Nun hört ihr die Geschichte des Gerechten,
der eines Tages in der Zeitung las,
sein rechter Nachbar sei ein Neonazi,
der den Segen vom Verfassungsschutz besaß.
Da belud der Gerechte seinen Wagen,
und zog in eine Stadt mit mehr Kultur.
Er wollt‘ nicht leben unter rechten Plagen.
Er wollte seine Ruhe auf der Uhr.
Und er fand, Gott sei Dank, eine Stelle bei der Bank,
gut bezahlt, die Kollegen angenehm,
doch er fand im System einen Waffendeal
mit einem Diktator – das war zu viel!

Nein, da zieh ich lieber weiter
ohne Job und Kleinkredit.
Ich steig‘ von der Karriereleiter.
Nein, da mach ich nicht mehr mit.

Da belud der Gerechte seinen Wagen,
befüllte noch mit Diesel seinen Tank,
da wurd‘ ihm klar, es stammte auch das Erdöl
aus dem Land der Geschäfte dieser Bank.
Er schwor, mit sich d’accord, mit dem Öl fahr ich nicht,
zuerst kommt das Denken und dann der Verzicht.
Er ließ den Wagen stehen und ging zu Fuß
am Straßenrand im Dieselruß.

Nein, da fahr ich nicht mehr weiter.
Nein, da mach ich nicht mehr mit.
Ich brauche euer Öl nicht, schreit er,
laufe lieber Schritt für Schritt!

Da lief nun der Gerechte ohne Pause,
bis ihn der große Hunger überkam,
bestellte sich im Gasthaus eine Jause,  
doch floh er vor dem Essen voller Scham,
die Leber auf dem Teller stammte wohl von einem Schwein
einer großen Mastanlage, also trank er nur den Wein,
doch der war verseucht mit Pestiziden.  
Das Wasser im Glas hat er auch gemieden.

Nein, da zieh ich lieber weiter
ohne Wurst und Appetit.
Verzehre nur noch Wiesenkräuter
und selbstgebrannten Aquavit.

Da zahlte der Gerechte seine Zeche,
nahm die Garderobe von der Wand
und stellte fest, dass seine fesche Jacke
genäht wurde vor dem Todesbrand
in einer Fabrik von Sklavenhänden.
Nackt ging er durchs Tor und fror.
So lief er bis zu einem Biobauern,
wollte dort die Jahre überdauern,
doch hisste eines Tags der nette Biobauer 
im Hof hinter seiner hohen Bio-Mauer
ein volksnationales Fahnentuch
und der Nazi aus der Stadt kam zu Besuch.

Nein, da zieh ich lieber weiter,
springe nackt von Ast zu Ast,
nie betrete ich den Boden,
auf dem ihr euch niederlasst.
Nein, da zieh ich lieber weiter.
Den Ungerechten scheint‘s egal,
machen weiter und sich breiter.
Doch wer Moral hat, hat die Qual.


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